In unserer Gemeinde hat vieles Tradition und darauf sind wir stolz. Der Reformationstag zählt unbedingt dazu: Jahr für Jahr – natürlich auch schon, als der 31. Oktober noch kein offizieller Feiertag war – feiern wir um 19 Uhr einen festlichen, stets gut besuchten Gottesdienst.
Festlich in gleich mehrerer Hinsicht:
Da die dunkle Jahreszeit begonnen hat, begrüßten besonders viele Lichter bzw. Laternen die Gottesdienstbesucher.
Festlich auch das rote Parament und der besondere Blumenschmuck auf dem Altar.
Und ganz wichtig: Es wird immer viel gesungen! Letztes Jahr hat die Kantorei den Gottesdienst mitgestaltet, in diesem Jahr war der Kammerchor dabei.
Die Gemeinde durfte – im Wechsel mit dem Chor – alle Strophen von klassischen Kirchenliedern wie „Nun freut euch, lieben Christen g‘mein“, „Bleib bei mir, Herr“, „Ein feste Burg ist unser Gott“ (natürlich!) und „Lobe den Herren“ (hier ein kurzer Ausschnitt aus dem Gottesdienst) singen.
Gerne wird am Reformationstag ein Pastor von auswärts eingeladen, auf dessen Predigt man jedes Mal gespannt sein darf.
In diesem Jahr stand Johann Hinrich Claussen auf der Kanzel.
In der Predigt – ging es ums Singen!
Von den Anfängen des Christentums: Wie der römische Statthalter Plinius seinem Kaiser Trajan über die Christen und deren befremdliche Glaubenspraxis berichtete: „Sie sind gewohnt, sich an einem bestimmten Tag vor der Dämmerung zu treffen und wechselweise miteinander Christus als einem Gott Lieder zu singen.“ Anstatt, wie sonst in der Antike üblich, in Tempeln Tiere zu opfern oder komplizierte Rituale zu vollziehen.
Weiter zu Reformation, in der im 16. Jahrhundert das Singen wiederentdeckt wurde. Luthers Choräle waren Gassenhauer und Protestlieder zugleich, singbar für alle vom Bettelsänger bis zum politischen Aufrührer. „Reformation als eine musikalische Guerillabewegung“ – brachte es Dr. Claussen auf den Punkt. Aber nicht zu vergessen: In der Musik spiegelte sich für Luther zugleich das Schöpfungswunder. Für ihn war sie ein Nachklang des Paradieses, „Herrin und Regiererin des menschlichen Herzens“, in dem der Glaube an die frohe Botschaft einziehen sollte.
Und im 20. Jahrhundert? Wird „Ein feste Burg ist unser Gott“, diese „Hymne der Protestanten“, weiterhin angestimmt. Denn der Kern dieses Liedes ist absolut zeitlos: Es geht um das unbedingte Vertrauen in Gott. Woraus uns Gläubigen eine Widerstandskraft erwächst, die oft größer ist, als wir meinen.
In unserer Zeit, so resümierte Dr. Claussen, nehmen uns Maschinen das Musikmachen und Liedersingen ab. Ein riesiger Verlust, denn im schlichten gemeinsamen Singen liegt eine ungeheure Kraft. Die Kraft Gottes.
Spürbar in unserem Gottesdienst, ganz in der Tradition Luthers.
Und weil es nach einer solch intensiven Gottesdienstfeier nicht leicht ist, einfach so auseinanderzugehen, war die Gemeinde eingeladen, bei einem Gläschen Wein oder Wasser noch ein wenig zu bleiben.
Das Angebot wurde gern angenommen. Wir waren ja auch in Übung – erst vor zwei Wochen war beim Talk unterm Turm ebenfalls Gelegenheit dazu gewesen!
Erleben Sie doch im nächsten Jahr die Tradition auch einmal mit! Der Termin ist ja leicht zu merken.