Ein Dialog über jüdisches Leben Johann Hinrich Claussen und Armin Levy

Seit 2022 gibt es unseren „Talk unterm Turm“: eine Gesprächsreihe, die – man beachte den Titel – in unserer Kirche stattfindet. Der Altarraum wird zum Podium umgebaut und Dr. Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland und in unserer Gemeinde auch als Pastor gut bekannt, moderiert dort eine Gesprächsrunde zu Gesellschafts- und Glaubensfragen.

Am 16. Oktober lautete das Thema „Jüdisches Leben in Hamburg“.

Mit Dr. Claussen sprach Armin Levy, der Vorsitzende der Jüdischen Union in Hamburg e.V.

Referenten auf der Bühne im Altarraum

Es wurde ein abwechslungsreicher Abend.

Kantorei im Altarvorraum unter der Erntedankgirlande

Den Auftakt machte ein Stück des (aus einer jüdischen Familie stammenden) Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy: „Verleih uns Frieden gnädiglich“. Denn erstmals wirkte die Kantorei der Gemeinde unter der Leitung unseres Kantors Benedikt Woll mit. Und welcher Einstieg könnte bei diesem Thema passender sein?

Jüdische Eheschließung

Weiter ging es mit einem „Blick ins Fotoalbum“: Armin Levy hatte uns Fotos mit Szenen jüdischer Rituale und Feste – Bar Mitzwa, Hochzeit, Beschneidung ... – zur Verfügung gestellt, die auf eine Leinwand projiziert und von ihm anschaulich kommentiert wurden.

jüdische Prozession

Wussten Sie beispielsweise, wie schnell aus unserer Kirche eine Synagoge würde? Kreuz raus, Thorarolle rein – fertig wäre der jüdische Gebetsraum. Die Thorarolle, eine Pergamentrolle mit den fünf Büchern Mose, ist als heiliger Gegenstand unverzichtbar für jede jüdische Gemeinde. Sie wird von Hand gefertigt und ist stets eine spezielle Auftragsarbeit. Ihre Ankunft in der Synagoge wird mit einer Prozession gefeiert und anschließend wird sie im Thoraschrank verwahrt.

Jüdische Männer vor einem Thoraschrank

Nebenbei: Herr Levy ist ausgebildeter Kantor. Vor der Veranstaltung gab er eine kleine Kostprobe seines Könnens und war von der Akustik in unserer Kirche – im Vergleich zu seiner Wirkungsstätte – sehr angetan.

Juden beim Gebet

Oder warum bedecken jüdische Gläubige beim Gebet ihre Augen mit der Hand? Diese Geste dient dazu, sich auf das „Innere“, also ganz auf Gott, zu konzentrieren und die äußere Welt auszublenden.

Juden mit Gebetsschal und Thorarolle

So gab es, Bild für Bild, für die knapp 150 Gäste des Abends Einblicke in die jüdische Glaubenspraxis, und in die verschiedenen Richtungen im Judentum: konservativ, orthodox, liberal, säkular.

Armin Levy ist als Sohn jüdischer Eltern im Iran aufgewachsen. Er floh, da seine Familie vom Mullah-Regime verfolgt wurde, zunächst nach Israel und kam 2012 schließlich nach Deutschland. In seiner Vita ist die Interreligiösität, für die er sich nun in Hamburg unerschütterlich stark macht, damit bereits angelegt: Nicht nur die Erfahrung, am eigenen Leib, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, seinen Glauben frei leben zu können. Da er im Iran zur Schule ging, spricht er Arabisch und kennt sich auch in der islamischen Welt sehr gut aus. Wissen, dass er nun ganz konkret hier in Hamburg im Kontakt mit muslimischen Glaubensgemeinschaften einsetzen kann.

In der Frage des Antisemitismus berichtete er unter anderem über jüdische Gläubige in Hamburg, die aus ihrer Glaubensgemeinschaft austreten – weil sie aus Furcht, an ihrer Arbeitsstätte als Jude oder Jüdin erkannt zu werden, keine Kultussteuer über den Staat abführen möchten. Das Unwohlsein der Juden in unserer Gesellschaft mache sich eher an solchen Aspekten fest als an tätlichen Angriffen auf Menschen, die eine Kippa (die jüdische Kopfbedeckung) tragen.

Publikum blickt auf Bühne und Leinwand

Auch gebe es eine Schieflage in der Berichterstattung in den Medien, so Levy. Weniger das rechte Spektrum sei aktuell ein Problem, als vielmehr die links einzuordnenden Medien: Sie seien oft anti-israelisch eingestellt und differenzierten nicht zwischen Juden, Zionisten und Israelis.

Laternen auf jüdischem Grab

Mit Nachdruck vertrat Herr Levy, was ihm am Herzen liegt: Ob Christ, Muslim oder Jude – wir alle sind Menschen, und sollten uns als Menschen begegnen. Am Ende zählt nur das. 

Armin Levy saß in unserer Kirche, vor dem Kreuz, unter der Erntedankkrone. Es war ein Abend des gelebten interreligiösen Austausches. In konservativen jüdischen Gottesdiensten erklingt allein die Stimme als Instrument. Wir wollten uns daher nicht nehmen lassen, unseren Gast erleben zu lassen, was bei uns dazugehört: Gesang mit Orgelbegleitung.

Levy und Claussen auf der Bühne, im Vordergrund ein Klavier

So endete, nachdem das Publikum seine Fragen stellen konnte, der moderierte Teil des Abends mit der Nummer 488 im Evangelischen Gesangbuch: „Bleib bei mir, Herr“. Mit Kantorei, Orgel und Publikum ergab sich ein schöner, voller Klang. Singen verbindet! Das wissen alle Religionen.

Als menschliche Gemeinschaft gestärkt, gingen wir nach einem Schlusswort auseinander. Wer mochte, konnte anschließend noch mit den Dialogpartnern – oder mit im Publikum sitzenden Bekannten – ins Gespräch kommen. Bei einem Glas Wein, Wasser oder Saft.

Der nächste Talk unterm Turm? Steht noch nicht fest, kommt aber bestimmt!

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